Research projects

Die „lange Mitte“ des Jahrhunderts – Alltagskulturelle Brüche und Kontinuitäten 1930-1950 am Beispiel des österreichischen Radsports

28.02.2022

Projektleitung: ao. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Müllner; Bearbeitung: Dr. Bernhard Hachleitner / Dr. Matthias Marschik / Mag. Johann Skocek

Radrennsport war speziell in den 1940er- und 1950er-Jahren ein „Volkssport“ mit einem hohen emotionalen kollektiven Aktivierungspotenzial. Er produzierte „Helden“ und transportierte Werte, die für eine politische Verwertung im Rahmen eines österreichischen Nation-building interessant wurden. Eindrucksvolle Beiträge dafür lieferten die ersten Österreich-Radrundfahrten nach 1945 („Tour d’Autriche“) und vor allem zwei Personen, die ihre Popularität den Erfolgen in den Jahren von 1930 bis 1945 verdanken: Max Bulla und Franz „Ferry“ Dusika.

Die Beschreibungen des Radsports klangen in diesen Jahren oft nach Versatzstücken nationalsozialistischer Ideologie und waren gleichzeitig die Brüche der Zeitläufe überdauernden Muster der medialen und öffentlichen Darstellung eines populären Sports: Härte gegen sich selbst und Ritterlichkeit gegenüber dem Gegner, männlicher, heldenhafter, fast übermenschlicher Kampf mit der Maschine und Triumph des Willens gegen die Gewalten der Natur, Bewegung und Dynamik, den „Endsieg“ vor Augen.

Damit unterschied sich der Radsport wesentlich von anderen Beispielen aus dem Sport, die für den Aufbau eines österreichischen Nationalgefühls nach 1945 eine wichtige Rolle spielten: der Fußball und die Wiener Eisrevue. Sie propagierten beide das Bild des tänzerisch eleganten, kreativen und nicht auf den Kampf angewiesenen, somit „unschuldigen“, Österreichers. Diese Zuschreibungen bildeten ein leicht fassbares emotionales Gegenbild zum Nationalsozialismus und korrelierten damit gut mit der „Opferthese“. Von dieser Dichotomie ausgehend, stellt sich die Frage, welche spezifischen gesellschaftlichen Bedeutungen nach 1945 vom Radrennsport und seinen – durchwegs männlichen – Heldenfiguren produziert wurden und inwieweit diese politisch verwertbaren Bedeutungen auf strukturellen, personellen und inhaltlichen Kontinuitäten mit der Zeit der NS-Herrschaft basierten.

Zielsetzungen und Forschungsrahmen des Projektes

Das soziokulturelle Handlungsfeld Sport mit seinen inhärenten „Heldengeschichten“ eignet sich besonders gut, Rezeption, Rollen und mediale Darstellung öffentlicher „Leitfiguren“ paradigmatisch zu untersuchen. Zu fragen ist, wie sich die sportlichen Karrieren und die außersportlichen Aktivitäten der Protagonisten in den größeren Zusammenhang der „Jahrhundertmitte“ vor, während und nach der NS-Ära einfügen: Denn das Verständnis für das Funktionieren des Nationalsozialismus verlangt eine über politische, militärische und gesellschaftliche Aspekte hinausgehende Beschreibung der Alltags- und Massenkulturen, die vor allem nicht 1945 endet, sondern gerade nach ihren Wirkungen in den Konstituierungsjahren der Zweiten Republik fragt.

Eine Analyse im Sinne einer „Longue durée“ soll dazu beitragen, das NS-(Sport)System in einen größeren Kontext zu stellen. Denn gerade zum Zusammenspiel von Macht, Kultur und Öffentlichkeit existieren immer noch erhebliche Erkenntnisdefizite, die dazu führen, dass aktuelle autoritäre oder sogar faschistische Tendenzen nicht immer als solche erkannt werden.

Das Projekt wird finanziert von:

Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport

Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus

Stadt Wien Kultur

Zukunftsfonds der Republik Österreich

 

A.o.Univ.-Prof. Mag. Dr. Rudolf Müllner

Centre for Sport Science and University Sports

Social and Contemporary History of Sport

University of Vienna

Auf der Schmelz 6a

A-1150 Vienna/Austria

 

T ++43 1 4277 488 30

F ++43 1 4277 488 39

rudolf.muellner@univie.ac.at

W https://institut-schmelz.univie.ac.at/abteilungen/sportpaedagogik-fachdidaktik-bewegung-und-sport-sozial-und-zeitgeschichte-des-sports/

Pub doi.org/10.15203/CISS_2019.014