Plötzlichen Herztod vorbeugen

16.01.2024

Diese Tests sollten nicht nur Profis, auch Hobbysportler regelmäßig machen lassen

(Interview von Ute Eppinger)


Regelmäßiger Sport ist eine der effektivsten Maßnahmen, um das Herz lange gesund und leistungsfähig zu halten. Jedoch gibt es immer wieder Berichte, dass Menschen auf dem Tennisplatz mit einem Herzstillstand zusammengebrochen sind. Und wer erinnert sich nicht an den dänischen Fußballprofi Christian Eriksen, der während eines EM-Spiels vor laufenden Kameras im Stadion reanimiert werden musste?

Welche Risikofaktoren für schwerwiegende Herzereignisse bestehen bei jüngeren Menschen und welche bei älteren? Sind Profi- und Hobbysportler gleich gefährdet? Weshalb sind vornehmlich Männer betroffen? Antworten darauf gibt Prof. Dr. Jürgen Scharhag, Sportmediziner und Kardiologie an der Universität Wien und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung.

 

Medscape: Wie häufig kommt es zu einem plötzlichen Herztod beim Sport und aus welchen Gründen bleibt das Herz plötzlich stehen?

Prof. Scharhag: Tatsächlich ist der plötzliche Herztod beim Sport eher selten. Gleichwohl ist dieser ein sehr dramatisches Ereignis, insbesondere wenn dieser wie beim dänischen Fußballprofi Eriksen vor laufenden Kameras geschieht.

 

Je nach Studie ist es grob etwa einer von 40.000 bis 200.000 Sportlern pro Jahr, die einen plötzlichen Herztod beim Sport erleiden. Wenn man vom Herzstillstand spricht, liegt in aller Regel ein Kammerflimmern vor.

Die Ursache hierfür kann unterschiedlich sein. Bei den jüngeren Menschen oder jüngeren Sportlern liegen in der Regel angeborene Herzerkrankungen vor. Jüngere Menschen bedeutet im Sport: unter 35 Jahren. Bei den Älteren liegt in den meisten Fällen – in etwa 80 bis 90% – eine Koronare Herzkrankheit vor.

 

Medscape: Welche Risikofaktoren für schwerwiegende Herzereignisse überwiegen bei jüngeren Sportlern?

 

Prof. Scharhag: Allgemein sind wesentliche Risikofaktoren für einen plötzlichen Herztod beim Sport das männliche Geschlecht, die Belastungsintensität und das Alter. Risikofaktoren für Todesfälle im jüngeren Alter sind angeborene Herzerkrankungen, z.B. verschiedene Kardiomyopathien wie die Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) die Dilatative Kardiomyopathie (DCM) oder Arrhythmogene Kardiomypathie (ACM, früher ARVC), aber auch Koronaranomalien, Herzklappenerkrankungen oder Aortopathien.

 

Hinzu kommen noch Ionenkanalerkrankungen wie z.B. das Brugada-Syndrom oder das Long QT-Syndrom also Störungen, die auf rein „elektrischer Ebene“ lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen können.

 

Die genannten Herzerkrankungen sind insbesondere bei jungen und asymptomatischen Sportlern nicht leicht zu entdecken, weil sie häufig noch nicht entsprechend ausgeprägt sind. Deshalb gleichen Vorsorgeuntersuchungen von Leistungssportlern ein bisschen der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Es gibt einen bunten Strauß an angeborenen Herzerkrankungen, die sich gegebenenfalls auch erst im Lauf der


Jugend oder des jungen Erwachsenenalters entwickeln, sodass es ratsam ist, die Sporttauglichkeitsuntersuchung in gewissen Abständen zu wiederholen.

 

Medscape: Und welche Risikofaktoren für schwerwiegende Herzereignisse überwiegen bei älteren Menschen?

 

Prof. Scharhag: Männer zwischen 50 und 60 Jahren haben das höchste Risiko aufgrund einer dann schon eher weiter vorangeschrittenen Koronaren Herzkrankheit (KHK). Unter sportlicher Aktivität mit höherem Blutdruck, höherer Flußgeschwindigkeit des Blutes und damit verbundenen höheren Scherkräften an den Arterienwänden kann es leichter zu Rupturen von Plaques in den Koronarien kommen.

 

Infolge der Plaqueruptur bildet sich ein Koronarthrombus, welcher die Versorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff vermindert oder verhindert und dann zu einem Herzinfarkt mit Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern führen kann.

Risikofaktoren für eine KHK sind erhöhte Cholesterinwerte sowie ein erhöhtes Lipoprotein (a), welches schon in relativ jungen Jahren zu einer ausgeprägten Arteriosklerose und KHK und damit auch zu Herzinfarkten in jungen Jahren führen kann. Weitere Risikofaktoren sind Bluthochdruck, Rauchen und eine positive Familienanamnese mit einem erhöhten familiären Auftreten für eine KHK oder plötzliche Herztodesfälle.

 

Medscape: Sind Profi- und Hobbysportler gleich gefährdet?

 

Prof. Scharhag: Wenn sie sich nicht untersuchen lassen, haben alle im Prinzip das gleiche Risiko. Allerdings werden Profisportler engmaschiger betreut. Wenn sich Profisportler nach Verbandsvorgaben oder aus vertraglichen Gründen mindestens einmal im Jahr untersuchen lassen müssen, können Auffälligkeiten und mögliche Risiken früher erkannt werden, als dies bei Hobbysportlern der Fall ist, die sich nur gelegentlich, einmalig oder gar nicht sportmedizinisch untersuchen lassen.

 

Deshalb empfehlen wir von der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Herzstiftung, dass sich auch Hobbysportler regelmäßig untersuchen lassen sollen – insbesondere, wenn kardiovaskuläre Risikofaktoren vorliegen.

Wenn man sich als Hobbysportler nicht untersuchen lässt, setzt man sich einem erhöhten Risiko aus. Denn letztendlich ist die Belastungsintensität auch wenn man nur Hobbysportler ist genauso hoch wie bei einem Hochleistungssportler.

 

Der Leistungssportler rennt jedoch schneller, weil er besser trainiert ist, aber die Herzfrequenz ist bei gleichen individuellen Belastungsintensitäten bei beiden gleich hoch. Es ist also nicht so, dass Hobbysportler sich weniger intensiv belasten. Sie sind nur nicht so leistungsfähig, weil sie nicht so gut trainiert sind.

Medscape: Gibt es Sportarten, bei denen eine besondere Gefahr besteht, dass es zu einem plötzlichen Herzstillstand kommt?

 

 

Prof. Scharhag: Der Marathon gilt als Paradebeispiel – weil er eine sehr erschöpfende, anstrengende Belastung ist. Todesfälle treten beim Marathonlauf eher im letzten Drittel auf, wenn trotz längerer Belastung und Ermüdung aufgrund des nahenden Ziels die Intensität erhöht wird und hierbei nochmals vermehrt Stresshormone ausgeschüttet werden.

 

Männer zwischen 50 und 60 Jahren haben das höchste Risiko aufgrund einer dann schon eher weiter vorangeschrittenen Koronaren Herzkrankheit. Prof. Dr. Jürgen Scharhag

 

Generell ist die Belastungsintensität der Sportart von besonderer Bedeutung. Denn je höher bzw. intensiver ich mich belaste, umso höher ist meine Stresshormon-Ausschüttung und umso höher ist auch die Belastung für mein Herz- Kreislauf-System. Deshalb ist bei sehr hoher Belastung das Risiko für einen plötzlichen Herztod höher als bei leichter oder mittlerer Belastung wie z.B. beim Nordic Walking.

 

Man kann sich das wie beim Autofahren vorstellen: Fahre ich 250 km/h auf der Autobahn und es ist irgendwas nicht in Ordnung, kann es leichter zu einem schweren oder tödlichen Unfall kommen, als wenn ich nur mit 30 km/h durch den Ort fahre.

 

Medscape: 95% der Betroffenen sind Männer. Weshalb ist das so?

 

 

Prof. Scharhag: Wenn wir das mal so genau wüssten! Männer machen den Großteil der Fälle des plötzlichen Herztodes im Sport aus. Eventuell liegt es am Testosteron, das in irgendeiner Form einen negativen Effekt auf den Kardiomyozyten hat.

Oder vielleicht liegt es bei der Frau an dem protektiven anti-atherosklerotischen, aber möglicherweise auch an einem intrazellulären und rhythmusstabilisierenden Effekt des Östrogens. Das ist allerdings meine persönliche Spekulation und es besteht hier noch Forschungsbedarf.

 

Medscape: Wer nach langer Zeit wieder anfängt Sport zu treiben sollte sich vorher untersuchen lassen unabhängig von Alter und unabhängig von Warnzeichen?

Prof. Scharhag: Ich rate sowohl Profisportlern als auch Hobbysportlern, sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Ein Risiko gehen insbesondere Hobbysportler ein, die eine längere Zeit keinen Sport gemacht und über viele Jahre nicht so gesund gelebt haben und dann sagen: „Jetzt fange ich wieder an!“. Das ist in etwa so, wie wenn man sein Auto 10 oder 20 Jahre in der Garage stehen hatte, nicht zum TÜV geht, sofort losfährt und Vollgas gibt.

 

Bevor man also wieder mit dem Sport beginnt, bitte vorher einen sportmedizinisch-kardiologischen Check machen lassen. Und nicht erst, wenn Warnsignale auftreten. Denn Warnsignale wie z.B. Palpitationen, ungewöhnliche Dyspnoe oder Angina pectoris beim Joggen zeigen an, dass die Erkrankung schon weiter fortgeschritten ist.

Des Weiteren sollte man sich nicht erst ab einem bestimmten Alter untersuchen lassen, da es wie schon erwähnt – auch angeborene Herzerkrankungen gibt, die beim Sport ein Risiko darstellen können.

 

Letztendlich ist die Belastungsintensität auch wenn man nur Hobbysportler ist genauso hoch wie bei einem Hochleistungssportler. Prof. Dr. Jürgen Scharhag

 

 

Ich rate sowohl Profisportlern als auch Hobbysportlern, sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Prof. Dr. Jürgen Scharhag

 

Je nach Alter können sich die Empfehlungen zur Sporttauglichkeitsuntersuchung leicht unterscheiden. Generell ist eine sorgfältige Anamnese einschließlich Sport- und Trainingsanamnese mit Haupt- und evtl. Nebensportarten, beabsichtigten Wettkämpfen, Trainingsformen, -umfang und -intensitäten sowie eine sportmedizinische körperliche Untersuchung und ein Ruhe-EKG obligat. Darüber hinaus halte ich sowohl ein Belastungs-EKG als auch eine Echokardiographie für ratsam.

 

Medscape: Wer sollte ein Belastungs-EKG machen lassen?

 

Prof. Scharhag: Ein Belastungs-EKG würde ich sowohl dem Profisportler als auch dem Hobbysportler empfehlen. Denn nur so können wir etwaige Auffälligkeiten oder Risiken bei höheren Belastungsintensitäten, wie sie im Training oder Wettkampf üblich sind, entdecken. Herzrhythmusstörungen unter Belastung lassen sich so in der Regel zuverlässig erkennen.

 

Schwieriger ist es, Veränderungen an den Herzkranzgefäßen mit einem Belastungs-EKG zu entdecken. Denn wenn die Herzkranzgefäße nur minimal oder mittelgradig verändert bzw. stenosiert sind und keine signifikante Stenose von etwa mindestens 75% vorliegt, treten in der Regel auch keine ischämietypischen, signifikanten ST-Streckensenkungen im EKG auf.

Dennoch ist das Belastungs-EKG sinnvoll, um die körperliche Leistungsfähigkeit objektiv zu beurteilen und die erzielte ergometrische Leistung mit der Sport- und Trainingsanamnese zu vergleichen. Weicht die erzielte ergometrische Leistung oder die Leistungsentwicklung im Längsschnitt zu sehr von der Sport- und Trainingsanamnese ab, muss man dies weiter abklären.

 

Medscape: Welchen Sportlern empfehlen Sie eine Ultraschalluntersuchung?

 

Prof. Scharhag: Eine Ultraschalluntersuchung des Herzens würde ich jedem Sportler empfehlen insbesondere, wenn man das erste Mal zu einem sportkardiologischen Check geht. Denn man kann bei Sportlern nicht alle strukturellen oder funktionellen Herzerkrankungen im Ruhe- oder Belastungs-EKG erkennen.

 

Ich rate sowohl Profisportlern als auch Hobbysportlern, sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Prof. Dr. Jürgen Scharhag

 

Zu denken ist hierbei beispielsweise an Herzklappenerkrankungen mit leichten oder mittelgradigen Insuffizienzen oder Stenosen, die bikuspide Aortenklappe, die Aortenektasie oder -dilatation, den Mitralklappenprolaps, Koronaranomalien oder Frühformen von Kardiomyopathien.

 

Darüber hinaus halte ich aber auch echokardiographische Kontrollen in gewissen Zeitabständen für sinnvoll, da sich


auch bei aktiven Sportlern Pathologien im Lauf des Lebens entwickeln können.

 

Aber auch jugendlichen und jungen Sportlern würde ich dies empfehlen, denn eine Untersuchung an jugendlichen Fußballern in England hat gezeigt, dass trotz einmaliger Echokardiographie im Alter um 16 Jahre einer von 14.794 Sportlern pro Jahr nach im Mittel 6,8 Jahren an einem plötzlichen Herztod verstarb.

Da von diesen verstorbenen Sportlern 6 eine unauffällige sportkardiologische Untersuchung inklusive unauffälliger Echokardiographie aufwiesen, aber später an einer Kardiomyopathie verstarben, halte ich echokardiographische Verlaufskontrollen in 2 bis 4-jährigen Abständen auch für jugendliche Sportler für sinnvoll. Insbesondere wenn Leistungssport mit hohen Trainingsumfängen und -intensitäten mit einer hohen Herz-Kreislauf-Belastung betrieben wird.

 

Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

 


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Diesen Artikel so zitieren: Plötzlichen Herztod vorbeugen: Diese Tests sollten nicht nur Profis, auch Hobbysportler regelmäßig machen lassen - Medscape - 8. Jan 2024.